Alexandra Lüthen
Literatur

Aus Donnerstag, lyrische Kurzprosa, veröffentlicht in der Menantes Anthologie "Die fünfte Dimension"


DONNERSTAG

Ein Zimmer. Ein Tisch, ein Stuhl, ein Bett. Endlich ein Bett.

„Komm!“, willst Du sagen, aber Du sagst es nicht, Du küsst es in mich hinein. Mit Deinem Speichel glitzern die Worte in meinen Mund - „Komm, komm doch!“.

„Ja!“, will ich sagen, aber ich sage es nicht, ich atme es Dir entgegen, in den Kragen Deines Hemds. Die warme Luft flirrt über Deiner Haut, wir beide - eine Fata Morgana in der Wüste dieses Zimmers.

Uns gibt es nicht, wir sind ein Trugbild, das verfliegt, wenn man sich uns nähert. Dann sieht man uns so, wie wir in der Wirklichkeit sind. Dich mit Deiner Frau und Deinem Sohn, der jetzt siebzehn ist, und mich mit meinen Töchtern, beide noch keine zehn.

„Endlich!“, willst Du sagen, aber Du sagst es nicht, Du streichst es mir mit Deiner Hand unter das Kleid. Deine Berührung lässt kleine Federn auf meinem Schulterblatt wachsen.

Uns gibt es, wir sind echt, man sieht uns nicht, aber wir können uns berühren, in der Wahrheit. Mein Schoss hat Dir kein Kind geboren, Deine Kraft muss mich nicht beschützen.

„Nimm mich“, will ich sagen, aber ich sage es nicht, ich zeige Dir meine Kehle. Dein Mund ist weich an meinem Puls und Deine Zähne sind fest, als Du die Stelle markierst.

So selten.

Mein Leben taktet sich in Seltenheiten.

Es war ein Unfall. Du kollidiertest mit mir, als ich durch den Alltagskosmos flog, Du warfst mich aus der Umlaufbahn der Erde. Du nahmst mich ein Stück mit und der Mars war nicht mehr wichtig. Es war das Hotel am anderen Ende der Stadt.

„Dreh Dich um“, willst Du sagen, aber Du sagst es nicht, Du nimmst mich und schiebst mich und siehst mich an im großen Schweigen. Ich mag das Festhalten nicht, aber bei Dir mag ich es. Deine Hand hält meine Hüfte und meine Haut verwächst mit Deiner, mein blaues Blut will in Dein Herz fließen, um wieder rot zu werden.

Wir tauschen viele Sätze. Es geht nicht. Es darf nicht. Es muss. Sie darf es nicht wissen. Ich kann nicht. Die Töchter. Der Sohn. Am Ende kommt immer eine Frage. Donnerstag?

„Jetzt“, will ich sagen, aber ich sage es nicht, ich löse mein Ich von meiner Haut. Ich löse mein Ich aus den Knochen, ich löse mein Ich von mir und sammle alles Ich in der tiefen Stelle, wo es Dir begegnet.

Die Dienstage sind schlimm. Rufst Du an? Ich darf mich nicht melden. Die Anruferliste wird an sie geschickt. Ich darf Dir nichts schreiben, der Administrator liest alles. Du rufst an oder Du meldest Dich nicht. Ich hab´ Dich gesehen, letztens mit Deinem Sohn. Ihr wart bei den Spielekonsolen, Du hast einen Karton aus dem Regal genommen. Meine Töchter zogen mich weiter zu den Hörspielen. Sie waren sehr laut, aber Du trugst den Karton zur Kasse.

„Ich will Dich“, willst Du sagen, aber Du sagst es nicht, Du mörserst mein Ich, zerstößt es, zerreibst es zwischen Dir und dem, was von mir übrig ist, gewölbten Wänden aus zarter Haut. Du bringst mein Ich auf Körpertemperatur, vermischst es mit Teilen von Dir, eine klebrige, dickflüssige Paste, die ihre Frische am nächsten Tag schon verloren hat.

„Halt mich“, will ich sagen, aber ich sage es nicht, ich fliege davon. Ein zauberglänzender Vogel greift sich das Ich, zieht mich empor in den schwarzen Himmel. Ich küsse die Sterne, ich nehme den Mond in mich auf, den ganzen runden Mond, bis ich glaube zu bersten vor so viel Fülle.

Einmal hab´ ich es doch getan, Du weißt es nicht. „Ja, bitte?“, fragte sie und meine Stimme war klein als ich sagte, ich wollte eigentlich die Hausverwaltung sprechen. „Da sind Sie wohl falsch verbunden“, sagte sie und ich „Es tut mir leid“. „Das macht nichts“, sagte sie. „Hier rufen ständig Leute an. Ist wohl ein Zahlendreher in der Nummer.“ „Es tut mir leid“, sagte ich und legte auf.

„Du bist es“, willst Du sagen, aber Du sagst es nicht, Du siehst mich an. Dein Lächeln malt Dein Gesicht einmal neu für mich. In mir ist ein Silberpapier, auf das feinkörnig Deine Linien fallen. Ich bin ganz schwer von allem Silber.

Du gehst Dich waschen. Spülst mich herunter mit dem Duschgel in Reisegröße, das Du immer dabei hast. Mein Körper liegt auf dem Bett und wartet darauf, dass der Vogel das Ich zurückbringt. Da, wo die Haut feucht ist, friere ich.

Du kommst zurück und nimmst mich nicht nochmal in die Arme. Mein Duft macht Dir Sorge, ist nur noch Geruch, soll sich nicht mischen mit dem Duschgel.

Du musst gehen.

„Ich liebe Dich“, will ich nicht sagen, aber ich sage es, schneide die Worte mit eisscharfer Klinge in Dein zufrieden pochendes Herz.