Fliegende Katzen, Dritter Platz beim Literaturwettbewerb der Gruppe 48, 2019, veröffentlicht in "Wunderwerk Text", ISBN 9783749469680
Fliegende Katzen
Es ist das Blut. Es soll fließen. In meinem Körper.
Du schlägst mich. Mit der Faust auf meinen Arm. Oben. Wo Stoff ist.
Mein Blut bleibt unter der Haut. Aber es fließt nicht mehr. An der Schlagstelle sammelt es sich. Mein Blut hält an. Meine Oma hat immer gesagt: Innehalten. Sie meinte damit: Ruhig werden. Nachdenken. Nichts tun. Mein Blut hält inne.
Je nachdem wie du mich schlägst: Ist es mal mehr Blut. Mal weniger. Das sich sammelt unter der Haut. Meine Haut ist weich. Ganz weich und dünn. Sie tut ihr Bestes. Sie nimmt den Schlag an. Sie reißt nicht deswegen. Nicht am Arm. Der Arm ist dazu gedacht. Auszuhalten. Er ist stark und kann sich heben. Er ist weich und kann was nehmen.
Mit meinem Arm mache ich dir Kaffee. Mit meinem Arm hebe ich deine Sachen auf. Mit meinem Arm greife ich nach der Katze. Ich trage sie ins Bad. Du magst sie nicht. Ich sperre sie ein.
Es sind hier Katzenhaare. Sagst du. Katzenhaare überall. Überall sind Katzenhaare. Diese Scheiß-Katzenhaare. Du weißt es doch. Sagst du.
Ich weiß es schon. Ich habe gesaugt. Aber du hast Recht. Alle Haare erwischt man nicht. Sie können fliegen. Die Katzenhaare.
Katzen sind so. Sie sind frei und wild und können fliegen. Sie legen sich überall hin. In die Sonne auf das Fensterbrett. In den Korb mit der frischen Wäsche. Und wenn keiner hinguckt: fliegen sie. Ich hab das schon gesehen. Ich kann so gucken, dass keiner merkt, dass ich gucke. Ich bin eine unsichtbare Seherin. Ich seh die Katze fliegen. Glaub mir.
Deine Scheiß-Katze interessiert mich nicht. Sagst du. Du spinnst doch. Sagst Du. Mit deiner fliegenden Katze. Du bist so dumm. Koch Kaffee. Aber einen richtigen. Nicht wieder so eine Plörre. Und mach Zucker rein. Zwei Löffel. Nicht umrühren. Du weißt doch wie ich meinen Kaffee will. Du weißt doch wie du es machen sollst. Das weißt du doch, oder? Sagst Du. Du fragst nicht. Weil: ich weiß es ja wirklich.
Ich hole das Zucker-Glas aus dem Schrank. Ich nehme den Löffel aus dem Fach. Da liegen die Löffel. Klein und glänzend. Sie liegen nebeneinander. Still in Reihe.
Ich nehme einen. Und noch einen. Ich weiß jetzt nicht. Zwei Löffel Zucker. Was heißt das? Zweimal löffeln mit einem Löffel? Oder willst du zwei Löffel?
Es ist eine schwere Frage. Ich stehe vor der Schublade. In jeder Hand einen Löffel. Das Zucker-Glas sagt nichts. Es bewegt sich nicht. Es bleibt still und zu. Ich weiß die Antwort nicht.
Was ist mit dem Kaffee? Fragst Du. Und lauter: Wo bleibt mein Kaffee, Du Kuh?
Zwei Löffel Zucker? Rufe ich zurück.
Wie blöd kann man sein? Brüllst du. Zwei! Löffel! Zucker! Soll ich es Dir schreiben?
Deine Stimme zuckt durch die Zimmer. Meine Haut kribbelt. Sie macht sich warm. Meine Haut weiß mehr als ich. Ich reibe mit der Hand über meinen Arm. Ich zieh den Ärmel bis zur Hand. Der Löffel fällt mir aus den Fingern. Es klirrt. Sehr laut. Sehr, sehr laut.
Was machst du da? Deine Stimme ganz nah. Du stehst in der Tür. Die Küche hat kein Fenster. Sie ist das Ende meiner Wohnung. Du klickerst am Lichtschalter. An. Aus. An. Aus. An. Aus. Immer schneller. Meine Augen blinzeln. Die Haut an den Augen brennt. Weiter oben tut es weh. Nicht weinen. Nicht weinen. In meinem Hals ist es eng. Dabei stehst du immer noch in der Tür. Hinter mir ist das Brett. Es drückt in meinen Rücken.
Was ist mit meinem Kaffee? Klick-Klack. An-aus-an.
Der Zucker ist alle. Sage ich. Es tut mir leid.
Das Klicken hört auf. Als du gerade bei Hell bist. Kein Zucker? Bist du sicher?
Ich nicke. Es kann kein Wort nach draußen. Der Hals ist zu eng dafür.
Warum bekomme ich keinen Zucker? Hat die Katze ihn gefressen oder was? Schreist Du.
Ich schüttele den Kopf. Ich halte mich an dem Brett fest. Hinter mir. Ich drücke mich nach hinten. Ich spüre hinter mir das Glas mit Zucker. Ich kann jetzt hier nicht weg. Du darfst das Glas nicht sehen.
Die Katze darf keinen Zucker. Sage ich jetzt doch.
Mit einer Hand greife ich zu der Kaffee-Maschine. Die Tasse lässt sich gut nehmen. Die Tasse tanzt. In meiner Hand. Ich halte sie dir hin. Meine Finger wollen zu mir zurück. Aber sie müssen in der Mitte zwischen uns bleiben. Kaffee kann nicht fliegen. Wie Katzen. Kaffee muss gehalten werden. Er steht nicht in der Luft.
Du guckst auf die Tasse. Im hellen Licht.
Halt die Tasse still. Sagst Du. Du verschüttest meinen Kaffee. Halt die Tasse still. Du verschüttest meinen Kaffee! Brüllst Du. Und die Tasse macht einen Hopser.
Mein Kaffee ohne Zucker! Weil die Scheiß-Katze hier alles frisst! Sagst Du sehr leise. Deine Stimme ist Gefahr. Mein Fell sträubt sich. Ich habe nicht mal Fell. Ich wünschte, ich… Der Kaffee ist heiß in meinem Gesicht. Der Rest von mir ist kalt. Der Rest von mir rutscht auf den Boden. Der Rest von mir kauert sich.
So. Sagst du. Kein Zucker, ja? Das ganze Glas ist voll. Dann sollst du etwas davon haben! Das ‚haben‘ brüllst du wieder. Der Rest von mir spürt Zucker rieseln. Wie früher Sand. Wie früher Sand. Sand. In Sommern ohne Kaffee. Nur mit Eis.
Du ziehst an meinem Arm. Mein ganzer Körper hängt daran. Schwer. Ruhe ist unten. Schmerz zieht nach oben. Ich kann so nicht stehen. Ich stehe halb. Halb bleibe ich sitzen. Der Zucker bleibt hängen. Unter meiner Nase. Über meinem Mund. Meine Zunge schmeckt: Salzig. Süß.
Heiß und hell. Die Kante Deiner Hand. Süßsalzig tropft es rot auf den Boden.
Bist du jetzt zufrieden? Deine Stimme schneidet die Luft. He, sag was! Ob du zufrieden bist!
Ich schüttele den Kopf. Ich nicke. Es ist eine komische Bewegung. Mein Kopf hängt oben.
Du Wackeldackel. Sagst Du. Was jetzt, hä, was jetzt? Jetzt kannst du wieder heulen. Du heulst doch die ganze Zeit.
Deine Hand immer noch an meinem Arm. Greift die Haut. Greift den Muskel. Greift den Knochen.
Alarm – Alarm – Alarm gibt mein Blut. Fließt bis zur Druckstelle. Sammelt sich unter den Kuppen deiner Finger.
Na los, steh auf. Steh schon auf.
Der Kaffee macht einen schwarzen See. Ein Krümelboot schwimmt vom Ufer los. Es hängt noch an der Fliese fest. Jetzt! Geschafft. Das Krümelboot treibt in die Mitte des Kaffee-Sees. Ich gucke wie bescheuert. Sind da auch kleine Enten? Ich kann es nicht genau sehen. In meinen Augen ist Zucker und Salz.
Jetzt kommt der Boden näher. Jetzt bin ich nah dran. Und seh die kleinen, kleinen Enten. Enten-Mama schwimmt. Die Enten-Küken hinterher. Es wird dunkel. Es wird hell. Der Kaffee ist schon ganz kalt von den Fliesen. Zucker fällt in den Kaffee. Kaffee berührt meine Wange. Dein Fuß tritt in meine Seite. Der Fuß macht kein Geräusch. Meine Mitte ist zu weich. Das Geräusch kommt aus mir. Wie Luft aus einem alten Ball. Weiter nichts.
Du verlierst die Lust an mir. Das ist immer so. Es macht keinen Spaß, wenn ich nur so herumliege. Das habe ich gelernt.
Deine Wut tanzt noch. Sucht etwas zum Greifen. Eine Tasse fliegt auf den Boden. Es reicht dir nicht. Du willst etwas, das lebt.
Die Sohle deines Schuhs knirscht. Auf Zucker. Auf Scherben. Dann nicht mehr. Im Wohnzimmer ist Teppich. Ich sehe den Abdruck des Schuhs. Kaffeeschwarz. Mit jedem Schritt schwächer. Es gibt alte Abdrücke. In Teebraun. In Weinrot. Das Weinrot ist blau geworden mit der Zeit.
Wohin gehst du? Ich stemme mich hoch. Der Arm tut weh. Mein Körper ist schwer. Vor allem da wo dein Fuß war. Aber dein Weggehen macht was mit mir. Alarm. Alarm. Alarm. Wohin gehst du? Die Wohnungstür bleibt leise. Du gehst nicht hinaus. Dahinter ist nur noch das Schlafzimmer. Ohne Tür. Das Bad hat eine Tür. Sie hakt. Man muss sie heben damit sie aufgeht. Das Scharnier klemmt. Das Scharnier kreischt. Da gehst du nicht rein. Da ist die Katze.
Ich stehe jetzt. Nicht die Katze. Nicht. Die. Katze. Jedes Wort ein Schritt. Ich bin zu spät. Die Tür zum Bad ist auf. Das Bad hat ein Fenster. Davor steht mein Waschmittel. Das Waschmittel fällt in die Wanne.
Ich höre das Fenster quietschen. Du keuchst. Du hältst die Luft an. Die Katze bekommt dir nicht. Die Katze bekommst Du nicht. Nicht die Katze. Nicht die Katze.
Du greifst nach der Katze. Ich kann dein Greifen hören. Die Katze faucht. Die Katze schreit.
Nein. Das ist nicht die Katze. Du schreist. Du sollst doch nicht atmen bei der Katze. Das weißt du doch. Die ganzen Haare. Sie können dich verletzen. So feine, weiche Haare.
Du verdammtes Vieh! Na warte! Raus hier! Ich krieg dich! Das war das letzte Mal! Du Scheißkatze!
Und dann brüllst du. Etwas Weiches fliegt gegen die Fliesen. Es landet auf den Füßen. Es lässt sich nicht greifen. Es wird das Bad nicht verlassen. Es wird dich wieder beißen. Es faucht. Wild mit weichen Haaren. Die Haare schweben durch die Luft. Du hast ihr das Fell zerrissen. Das wird dich töten.
Dein Brüllen hustet. Dein Schrei niest. Deine Hand wischt über deine Augen. Reibt Katzenspucke hinein. Du weinst ja.
Die Katze braucht mich nicht. Sie macht es allein. Sie faucht und kackt gleichzeitig in die Wanne. Ich rieche es. Die Katze kackt, wenn sie böse ist. Ich weiß das.
Du niest und niest und niest. Du nimmst einen letzten Anlauf. Doch alles, was du noch zu greifen bekommst: ist eine Waschmittel-Flasche. Sie fliegt aus dem Fenster.
Ich habe die Wohnungstür aufgemacht. Ich stehe dahinter. Du siehst mich nicht. Du siehst nur Luft im Treppenhaus. Luft ohne Gestank und Katzenhaare. Du stürmst dorthin. Ich sehe dein Gesicht. Es sieht schlimmer aus als meins.
Du stürzt zum Fenster im Treppenhaus. Es lässt sich nicht öffnen. Du fluchst und rennst die Treppe nach unten.
Ich schließe die Wohnungstür. Ich halte mich fest an der Klinke. So lange, bis die Hand an der Klinke wieder meine Hand ist. Die Katze ist nicht mehr im Bad. Ich nehme Klopapier und hebe den Katzendreck auf. Ich spüle ihn runter. Das Fenster lasse ich auf. Später.
Die Schritte sind schwer. Ich. Muss. Gar. Nichts. Ich. Will. In. Die. Küche.
Da sitzt die Katze auf dem Boden. Mit der Nase stupst sie in die Pfütze. Katzenzunge. Raue Katzenzunge stippt in die Pfütze.
Du sollst doch keinen Zucker. Sage ich zur Katze. Lieb. Sie hört auf damit.
Na komm. Sage ich. Ich räume auf. Die Küche. Dann mich. Dann gehe ich einkaufen. Zucker und Waschmittel und Öl für die Scharniere.
Später fahre ich mit der Katze zum Tierheim.
Ich komme mit zwei Katzen zurück.